Fang Wang schaut genau hin, ganz genau. Jedes einzelne Blatt prüft sie, auf Schädlinge, trockene Stellen und Verfärbungen. Sie hat die Weinreben sauber angepflanzt, Reihe um Reihe. Fang Wang wischt sich den Schweiß aus der Stirn und lässt den Blick über ihren Weinberg schweifen. Sie lächelt zufrieden. „Sieht doch ganz gut aus, mein Werk“, sagt die Chinesin, „in diesem Jahr wird meine Ernte besser werden.“ Die Sonne steht hoch über den Feldern der „Winzerei Kanaan“, die Fang Wang vor knapp drei Jahren in der Nähe der Berge von Helan in Ningxia, einer kleinen Provinz westlich von Peking, gründete. Ein leichter Wind rauscht durch die Weinreben, sonst ist es still. Über zehn Jahre hat Fang Wang in Deutschland gelebt, hat dort gute Weine schätzen gelernt. „Irgendwann bekam ich Heimweh“, sagt die Weinbauerin, „ich musste zurück nach China.“ Fang Wang ging heim – und gründete ihr eigenes Weingut, unter Anleitung des Vaters, der schon seit knapp 50 Jahren selber Wein anbaut. „Mein Vater sagt immer, hier in Ningxia werden wir einmal den besten Wein Chinas anbauen. Schon jetzt sehen wir die ersten Ergebnisse.“ Die stämmige Frau strahlt. „Natürlich lerne ich noch immer“, sagt sie, „ich mache den Wein so, wie er mir schmeckt.“
Der Tropfen aus der Winzerei Kanaan schmeckt längst nicht mehr nur ihr. Fang Wang will die Produktion deshalb in diesem Jahr von 10 000 auf 55 000 Flaschen steigern. „Der chinesische Weinmarkt ist so groß“, sagt die 41-Jährige, „er ist groß genug für alle. Wir können einmal chinesischen Lafite produzieren.“ Ganz offensichtlich: Die heimischen Weinbauern haben ambitionierte Ziele. Mit dem Reichtum Chinas wächst nicht nur die Nachfrage nach Wein, sondern auch das Wissen; vorbei scheinen die Zeiten, als Chinesen teuerste Rotweine mit Cola oder Fanta mischten. Das Reich der Mitte findet Gefallen an weißen und roten Traubensäften – und will nicht mehr nur von Importen aus Europa, Australien und Amerika abhängig sein, sondern eine eigene Weinindustrie aufbauen. In das Projekt fließen Milliarden, die Chinesen kaufen Weingüter in Frankreich auf, lassen Experten einfliegen und sich von ihnen zeigen, wie sie bessere Weine herstellen. Noch sind die chinesischen Konsumenten jedoch nicht bereit, für lokal erzeugten Wein ähnlich viel zu zahlen wie für importierten Wein, auch droht die zunehmende Umweltverschmutzung, der chinesischen Weinindustrie nachhaltig zu schaden. Für meine aktuelle Geschichte aus der WELT habe ich mir Ningxias Weinindustrie genauer angeschaut.