Ein herbstlicher Abend in Shanghai. Grace und Jieming machen das, was sie schon seit Schulzeiten gerne machen: ins Kino gehen. Die beiden Chinesen haben sich das Grand Theatre ausgesucht, ein Kino aus den 1930er-Jahren an der Nanjing Xi Lu, einer der großen Einkaufsstraßen Shanghais. Goldene Decken, Springbrunnen und italienischer Marmor erinnern hier an die europäische Vergangenheit der chinesischen Küstenmetropole. Grace lächelt, als sie die Eingangshalle betritt. „Ich komme immer wieder gerne her“, sagt die 30-Jährige, „hier habe ich meinen ersten Kinofilm gesehen.“ Grace Shen arbeitet als Englischlehrerin, amerikanische Kinofilme halfen ihr während des Studiums, ihre Englisch-Kenntnisse zu verbessern. „Seitdem liebe ich ausländische Filme“, sagt sie, „ich schaue mir fast alles an, was aus Hollywood kommt.“
Im Grand Theatre hat die schmale junge Frau an diesem Abend reichlich Auswahl, das Kino zeigt viele ausländische Filme. Zu sehen sind die „Ninja Turtles“, auf chinesisch „Ninja Ren Zhe Shen Gui“, daneben „Maze Runner – Die Auserwählten“ und „Lucy“, ein neuer Action- und Science Fiction-Film mit Scarlett Johansson und Morgan Freeman. Grace steht vor dem Ticketschalter, sie kann sich nicht entscheiden. Neben ihr warten mehrere andere Chinesen in einer Schlange; es sind Pärchen, eine Mutter mit Kind, eine Gruppe Jugendlicher. Sie schauen sich die Plakate an und kaufen Popcorn und Coca-Cola, zusammen für 42 Renminbi, umgerechnet 5,40 Euro. Sie, die reicher werdende Mittelschicht, will Hollywood als Zuschauer gewinnen, ist China doch derzeit der am schnellsten wachsende Kinomarkt überhaupt. Spätestens 2020 soll das Land – bislang auf Platz 2 – zum größten Filmmarkt der Welt aufsteigen.
Für amerikanische Filmstudios ist China deshalb der Markt der Zukunft – trotz der Zensur und der Quoten, mit denen Peking die Zahl ausländischer Filme in China begrenzt. Hollywood setzt deshalb vermehrt auf lokale Co-Produktionen und chinesische Schauspieler. Für die Regisseure ist das jedoch riskant. Warum? Das steht in meiner aktuellen Magazingeschichte aus der WELT.