Das große Haus in Minhang im Shanghaier Westen ist ziemlich leer geworden, das Kinderzimmer ist seit Jahren unbewohnt. „Tja, so ist das, wenn die Kinder aus dem Haus sind“, sagt Jiang Min, eine kleine Frau mit welligem, halblangem Haar. „Dann wird es stiller.“ Ihr Sohn Chao Hong Yu, der früher in dem Kinderzimmer im ersten Stock gewohnt hat, studiert inzwischen in Ningbo an der University of Nottingham. Die britische Universität betreibt dort, knapp 150 Kilometer südlich der 24-Millionen-Stadt Shanghai, einen eigenen Campus. Chao Hong Yu macht in diesem Sommer seinen Bachelorabschluss in Ningbo, danach soll es nach Großbritannien gehen, nach Nottingham, an den Hauptsitz der University of Nottingham. Dort soll der Chinese seinen Master machen.
Jiang Min wird ihn höchstpersönlich in Nottingham abgeben, Mutter und Sohn reisen gemeinsam ins Vereinigte Königreich. „Ich muss ja sehen, wo mein Kind hinkommt“, sagt sie. Chao Hong Yu wird mehrere Jahre lang in Großbritannien studieren – und dort als „internationaler Ausländer“ saftige Studiengebühren zahlen. Doch die muss er nicht selber aufbringen, seine Mutter ist Regionaldirektorin bei einer Versicherung, der Vater hat sein eigenes Unternehmen. Geld ist also da, auch für ein teures Masterstudium im Ausland.
Chinesische Studenten wie Chao Hong Yu sind der Grund, warum Universitäten aus Großbritannien, Deutschland und den USA ins Reich der Mitte drängen. Sie gründen Doppelabschluss-Programme, Kooperationen, manchmal ganze Campi, und wollen so Chinesen in ihrem Heimatland als Studenten gewinnen. Im der Zahl der Studenten nach größten Hochschulmarkt der Welt – in China studieren über 24 Millionen, schon 2008 überholte China die USA – streben westliche Universitäten vor Ort nach mehr Bekanntheit. Der Plan: in China, aber auch für den Heimatstandort Studenten zu rekrutieren und gleichzeitig im Wettbewerb der Hochschulen als globale Marke wahrgenommen zu werden. Westliche Universitäten machen jedoch nicht nur gute Erfahrungen im Reich der Mitte. Warum das so ist, lesen Sie “Chinesische Enttäuschungen”.