Dutzende Möwen kreischen im Wind über den schweren Ausrüstungsschiffen und den riesigen Öltanks am Regent Quay. Es ist ein kühler Sommerabend in Aberdeen, im Nordosten Schottlands, wo das Thermometer selten über 20 Grad steigt. Schon am frühen Abend sind die Straßen rund um den Hafen verwaist, an Deck der Schiffe lassen sich keine Ingenieure oder Arbeiter mehr blicken. Der graue Himmel und die grauen Fassaden der Häuser schaffen eine trübe Atmosphäre.
Granite City, Stadt des Granits, wird Aberdeen genannt, ein Grau in Grau – aber nicht deswegen ist die Stimmung schlecht. Sondern weil die Quelle des Reichtums der Stadt und ganz Schottlands versiegt. Eigentlich wollten die Nationalisten auf den Milliarden-Einnahmen aus dem Geschäft mit dem Öl, das vor der Küste aus dem Meeresgrund gepumpt wird, einen eigenen, unabhängigen Staat aufbauen.
Doch daraus wird nun nichts. Aus dem Staat nicht, weil zwar 1,6 Millionen Schotten in einem Referendum im vergangenen Jahr für die Unabhängigkeit von Großbritannien stimmten, aber zwei Millionen dagegen. Und aus dem ganz großen Reichtum auch nicht. Denn mit dem drastischen Verfall des Ölpreises stürzt Aberdeen wirtschaftlich ab – und mit der Stadt die ganze Region. Vor einem Jahr hatte der Preis noch bei 115 Dollar pro Fass (159 Liter) gelegen. Seitdem hat er sich halbiert. Diese Woche kostete die Nordseesorte Brent zeitweise nur 55,67 Dollar (50,50 Euro).
Noch liegen die Löhne in Aberdeen ein Drittel über dem britischen Durchschnitt, die Arbeitslosigkeit ist gering, und viele Immobilienbesitzer sind zumindest auf dem Papier Millionäre. Doch nun droht ein dramatischer Abstieg. Schon jetzt sind mehr als 5000 Jobs verloren gegangen, Zehntausende weitere sind in Gefahr. Was die Stadt und die Industrie tun wollen, um das zu verhindern, lesen Sie in meiner aktuellen Geschichte aus der WELT am Sonntag.